Die beste Astrid der Welt
Den Ausgangspunkt in Astrid Lindgrens Universum bildet das rote Haus auf dem Hof Näs am Rande der Kleinstadt Vimmerby in der Provinz Småland. Hier wurde Astrid im Jahre 1907 als Tochter des Pfarrhofpächters Samuel August Eriksson und dessen Frau Hanna geboren. Hier wuchs Astrid zusammen mit ihren drei Geschwistern und vielen Spielkameraden auf.
„Das Beste an meiner Kindheit war,“ so pflegte Astrid zu sagen „dass wir beides hatten – ausreichend Geborgenheit und ausreichend Freiheiten.
Wir waren geborgen, da wir umgeben waren von bodenständigen, verlässlichen Erwachsenen: Mutter, Vater, Knechten, Mägden, Kuhhirten und helfenden Nachbarsfrauen. Es war immer jemand da.
Die Freiheiten hatten wir deshalb, weil all die uns umgebenden Erwachsenen durch ihre Arbeit so stark beansprucht waren, dass sie uns Kinder nicht immer im Auge haben konnten.“
In den Büchern über die Kinder von Bullerbü wird die Kindheit nicht aus der Sicht der erwachsenen Astrid Lindgren geschildert, sondern aus der Perspektive des Kindes. Eine Sichtweise, die durch Spiel und Fantasie bestimmt ist und die Astrid Lindgren als Schriftstellerin immer beibehalten hat.
„In meinem Innersten bin ich immer noch das Bauernmädchen aus Vimmerby,“ pflegte sie zu sagen. „Und für das Kind in mir schreibe ich.“
Das Kind, das sie einmal war, lebt munter und frech in ihr. Es zeigt sich in ihren Augen, in ihren witzigen Einfällen und ihrem plötzlichen Lachen. Und das Kind in ihr weiß, was andere Kinder am liebsten hören wollen: Geschichten und Erzählungen, die sie zum Lachen und zum Weinen bringen, einen Schauer über den Rücken jagen und sie juchzen lassen. Und die Kinder wissen, dass es erlaubt ist, auch mal böse und dumm zu sein. Sie wissen, dass man klein und ängstlich sein darf, aber auch stark und mutig, wenn man die Angst überwunden hat.
Astrid Lindgren war bereits 38 Jahre alt, als sie durch Zufall entdeckte, dass sie über eine seltene Begabung verfügte: so zu erzählen, dass alle Kinder ihr zuhören. Zuvor hatte sie eine Büroausbildung in Stockholm absolviert, den Büroleiter Sture Lindgren geheiratet und zwei Kinder bekommen. Nach Aussage von Sohn Lars war Astrid Lindgren eine ungewöhnlich spielfreudige Mutter. Ihrer Tochter Karin erzählte sie viele Geschichten und Karin war es auch, die eines abends sagte:
„Erzähl mir von Pippi Langstrumpf!“
Das war ein ungewöhnlicher Name, aus der Luft gegriffen, in dem Augenblick erfunden. Und als Astrid sich zu ihrer Tochter setzte, wurde es eine ungewöhnliche Geschichte über ein ungewöhnliches Mädchen – das stärkste Mädchen der Welt. Der Zufall – ein unglücklicher Ausrutscher auf dem See im Vasapark – wollte es, dass Astrid die Zeit fand, die Geschichte über das ungewöhnliche Mädchen aufzuschreiben.
Pippi ist eine Figur, die erschaffen wurde von den Wunschträumen der Kinder über Macht. Mit Goldmünzen in der Hand und Kraft in den Armen kommt man allein klar und verweist Erwachsene und Gleichaltrige auf ihre Plätze. Verfügt man gleichzeitig über die Schlagfertigkeit einer Astrid Lindgren, ist nichts unmöglich. Pippi machte sich für die Freiheitsbewegung der Kinder stark. Sie ist das stärkste Mädchen der Welt, nutzt ihre Kraft aber niemals, um sich zu schlagen. Sie zeigt, wer stark ist, muss nicht dumm sein. Sich schlagen und sich verteidigen, kann man auch mit Worten:
„Leben wir etwa nicht in einem freien Land? Darf man nicht gehen, wohin man will?“
Millionen von Kindern in aller Welt lesen die Lindgren-Bücher. Pippi, Michel, Ronja, Krümel Löwenherz, Karlsson vom Dach, die Kinder von Bullerbü und die anderen Helden werden zu ihren besten Freunden. Einige der Figuren wie z.B. Karlsson sind in Stockholm zu Hause, aber die meisten der anderen leben in der Region rund um Vimmerby. Dort kauft Michel sein Pferd auf dem Markt, dort schleichen die „Weiße und die Rote Rose“ durch die Gassen rund um Båtsmansbacken, dort hebt Pippi das Pferd auf die Veranda des gelben Hauses in Näs, dort steht der Mittsommerbaum der Kinder von Bullerbü und dort ist Madita auf dem Weg zum Bonbonladen. Und dort glaubt man, Astrid Lindgren selbst zu sehen: Verschmitzt wie Michel, schlagfertig wie Pippi, gutherzig wie Madita, listig wie Karlsson und verwegen und mutig wie Ronja, als sie über den Höllenschlund springt.
Von Margareta Strömstedt